Thema des Monats


Vernetzt, verstrickt? DAD oder die digitale Generation der Aufmerksamkeitsstörungen

Unsere perfekt vernetzte Welt ermöglicht es uns, mit ein paar Klicks eine unglaubliche Vielzahl an Informationen zu finden. Dank Multitasking können wir parallel und scheinbar in kürzester Zeit Emails abarbeiten, Börsenkurse checken, ein Briefing verfassen und einen Kinofilm fürs Wochenende aussuchen. Wie steht es jedoch mit unseren kognitiven Fähigkeiten, die sich bemühen müssen, mit dieser rasanten Entwicklung Schritt zu halten? Hier widmen wir uns nicht nur der Frage, was Informationsflut und ständige Erreichbarkeit mit uns machen, wir sagen auch, was Sie tun können, um Ihr Gehirn wieder zu "entschleunigen".

Erkennen Sie sich hier wieder?

  • Während der Download einer größeren Datei läuft, nutzen Sie die Zeit und schauen schnell nach, wo es günstige Flüge für Ihren Sommerurlaub gibt und von wem die neueste Kontaktanfrage bei Xing kommt.
  • Unterwegs im Zug zu einem Geschäftstermin macht Ihr Laptop schlapp, Ihr Smartphone bekommt keine Internetverbindung. Eigentlich nicht so tragisch; Sie erwarten keine dringenden Nachrichten und Ihr Büro weiß ja, dass Sie gegebenenfalls nicht ständig erreichbar sind. Sie könnten das Buch lesen, das Sie am Bahnhof gekauft haben. Sie spielen aber lieber ein bisschen Tetris. Nach jeder Runde überprüfen Sie, ob Sie endlich wieder online kommen.
  • An Ihrem Rechner sind stets mindestens zwei Browserfenster und dort je mindestens acht Tabs geöffnet.
Dann leiden Sie vielleicht an DAD.

Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich ein Syndrom namens Divided Attention Disorder, der jüngste Neuzugang in der Familie der Aufmerksamkeitsstörungen, dem die BBC unlängst einen Beitrag widmete. Nach bisherigen Erkenntnissen ist DAD (vermutlich) nicht tödlich oder ansteckend, trotzdem dürfte es in unserer Gesellschaft weit verbreitet und für eine Vielzahl totgeschlagener Stunden verantwortlich sein. Denn aus dem Prinzip des Multitasking erwächst nicht selten ein Problem: Beim Multitasking geht es um Produktivität; es soll unser kostbares und knappes Gut, die Zeit, so sinnvoll wie möglich nutzen und uns so mehr davon schenken. Tätigkeiten mit gleicher Priorität werden simultan ausgeführt, wobei eine der Tätigkeiten anspruchsvoller sein und den Großteil unserer Aufmerksamkeit binden kann, die zweite eher nebenbei zu erledigen ist: beispielsweise essen wir beim Bearbeiten der neuesten Emails zu Mittag. Kritisch wird es, wenn wir uns unfähig fühlen, inmitten der täglich auf uns einströmenden Informationen Prioritäten zu setzen, Aufgaben entsprechend strukturiert abzuarbeiten und uns für einen längeren Zeitraum auf eine Tätigkeit zu konzentrieren. Wenn unsere Aufmerksamkeit im Fünf-Sekunden-Takt von einem Thema zum anderen springt, arbeiten wir nicht effizient. Unser Aufgabenberg wird nicht so schnell kleiner, wie wir es uns vorgestellt hatten, und am Ende stehen wir im schlimmsten Falle verwirrt vor einer Masse loser Fäden und verbringen unnötig viel Zeit damit, diese zusammenzufügen.

Schadet zuviel Technologie dem Gehirn?

Nein, es geht hier nicht um Strahlung, die durch exzessive Handynutzung auf uns einwirkt. Unsere stark technologieabhängige Arbeitsweise birgt jedoch andere Gefahren. Laut BBC gibt es eine Theorie zu DAD, die durchaus beunruhigend ist: Auf lange Sicht soll diese Art des Arbeitens zu kognitiver Überlastung führen und unsere Art zu denken beeinflussen. Durch zu viele schnelle und kurze Impulse wird das sogenannte Arbeitsgedächtnis, der Teil unseres Erinnerungsvermögens, der für kurzzeitiges Speichern zuständig und nicht besonders ausgeprägt ist, regelrecht überflutet. Unsere Aufmerksamkeitsspanne verringert sich, unser Gehirn verlernt die tiefe Konzentration und die Verknüpfung neuer Informationen mit den in unserem Langzeitgedächtnis gespeicherten Fakten und Erfahrungen. Unsere Gedanken reifen so nicht zu in der Tiefe gespeichertem Wissen, sondern bleiben nur konfus an der Oberfläche.

Slow Food, Slow Brain

Wie kann man aber dem Mahlstrom aus nicht abreißender Informationsflut und ständiger Verfügbarkeit entkommen? Wie sein Gehirn "umprogrammieren"? Das Stichwort lautet keineswegs No Brainer, sondern lediglich Slow Brainer (und auch das nur im positiven Sinne. Denken Sie an Slow versus Fast Food). Einen Hut aus Alufolie benötigen Sie jedenfalls nicht:


  • Akzeptieren Sie, dass nur, weil moderne Technologien Ihnen theoretisch ermöglichen, allzeit bereit zu sein und Sie alles auf einmal erledigen könnten, Sie praktisch nicht dazu einladen sollten. Denn wenn man weiß, dass Sie stets verfügbar sind, wird man Sie auch zu Unzeiten mit Emails bombardieren.
  • Planen Sie umgekehrt Ihre eigene Kommunikation entsprechend und nutzen Sie unterschiedliche Kanäle. Wenn Sie eine Email schicken, gestehen Sie Ihrem Gegenüber zu, nicht unmittelbar zu reagieren. Wenn es dringend ist, rufen Sie an.
  • Sortieren Sie genau, wem Sie welche Informationen zukommen lassen. Werden Sie nicht zum Spammer; nicht jeder muss immer in alles involviert sein. Wenn Sie andere vor virusartiger Ausbreitung wertloser Informationshülsen schützen, schützen Sie damit am Ende auch sich selbst.
  • Schaffen Sie ein störungsfreies Umfeld, in dem Sie in Ruhe arbeiten können. Wenn dies nicht dauerhaft möglich ist, richten Sie feste Zeiten ein, in denen Sie telefonisch nicht erreichbar sind und keine Emails abfragen.
  • Apropos Emails: Fragen Sie sich, ob Sie jede neue Nachricht sofort durch ein optisches und/oder akustisches Signal angezeigt bekommen müssen und ob die zeitlichen Abstände für das Abholen von Emails nicht etwas größer sein können.
  • An Tagen, an denen Sie sich sehr unruhig fühlen und verstärkt von einer Aufgabe zur nächsten springen, ohne jemals eine abzuschließen, können Sie versuchen, sich für eine vorher festgelegte Zeiteinheit (z.B. fünf Minuten) ausschließlich auf ein Projekt zu konzentrieren. Klingt simpel, kann aber schwierig werden.
  • Füttern Sie Ihr Gehirn gezielt mit komplexen Brocken anstatt kleiner Häppchen, fordern Sie es heraus und trainieren Sie, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Lesen Sie den Leitartikel in der "Zeit". Lesen Sie ein Buch oder treten Sie gleich einem Buchclub bei. Lernen Sie etwas Neues. Gehen Sie ins Theater (und lesen Sie am besten gleich nach, was es mit dem Stück auf sich hat).

Die modernen Technologien sind für unser tägliches Leben unverzichtbar geworden. Sie haben unsere Art zu arbeiten revolutioniert und bieten nie dagewesene Möglichkeiten und Chancen. Wenn wir Computer, Internet und Co. jedoch nicht richtig zu nutzen wissen und vergessen, auch mal den "Aus"-Knopf zu betätigen, werden sie unser Dasein nicht bereichern, sondern nur verkomplizieren.

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